Die Zwickmühle: Wer in einem sich ständig wandelnden Business-Umfeld in wenigen Jahren noch relevant sein will, braucht die richtigen Menschen mit den richtigen Skills im Unternehmen – und die kann man nicht nur ständig neu einstellen, sondern muss sie auch intern aufbauen und fördern.
Meine tägliche Aufgabe als Berater für Learning Experience (LX) bei Ray Sono ist es, Lösungen für dieses Problem zu finden, die nicht in Frust und Geldverbrennen enden. Wie das geht? Ganz einfach: Ich halte mich an einige goldene Regeln:
Regel 1: Wer Stricken lernen will, braucht keinen Russischkurs
Obwohl Buzzwords noch nie ein Problem gelöst haben, halten sie sich wacker. Zuletzt konnten wir auf der Learntec mal wieder beobachten, wie diverse Learning Experience-Anbieter „DIE Lösung“ und „DAS Tool“ für Weiterbildung feilboten. So oder so ähnlich klingt das dann: „Personalisiertes Micro-Learning mit Erklärvideos auf einem mobiloptimierten und durch Algorithmen gamifizierten kollaborativen Learning Management-System – in der Cloud!“ Ich hoffe, ich habe kein Buzzword vergessen.
Apps, Lernmanagement-Systeme und sonstige Universal-Tools auf individuelle Anforderungen zu werfen, entspricht dem Geschäftsmodell der Anbieter: Habe Lösung, suche Problem. Seit 27 Jahren begleitet Ray Sono Unternehmen bei ihren Veränderungsprozessen. Noch nie begann ein erfolgreiches Change-Projekt mit der Lösung, sondern immer mit dem Verstehen der Nutzer und ihrer Bedürfnisse. Das bedeutet, die richtigen Fragen zu stellen. Zum Beispiel:
- Welche Skilldefizite gibt es im Unternehmen?
- Welche Kosten entstehen uns durch verlorene Aufträge mangels Lieferfähigkeit?
- Wie wird die Fortbildung von Mitarbeitern kosteneffizienter als teure Hiring-Maßnahmen?
- Wie können wir mehr Geld verdienen, indem wir mittels Learning-Maßnahmen in unsere Mitarbeiter investieren?
- Und woran merken wir, ob wir das Richtige tun?
Erst wenn man die Bedürfnisse genau kennt, kann man Relevanz erzeugen. Indem man ein echtes Problem mit einer optimierten Maßnahme löst – und das Ganze auch transparent und attraktiv an seine Leute kommuniziert. Die Lösung dafür kann E-Learning heißen. Muss sie aber nicht – die Nutzerbedürfnisse und die Business-Anforderungen entscheiden.
Regel 2: Lernen ist mehr als Fortbildung
Bei „Lernen“ denken wir sofort an typische HR-Themen: Brandschutzhelferausbildung, Präsentationstraining, Design-Thinking-Schulung. Dabei spielen Lernherausforderungen gerade auch im Arbeitsalltag außerhalb der Fortbildungswelt eine sehr große Rolle – wir nennen sie nur nicht so. Wenn wir sie aber rechtzeitig als Lernfeld identifizieren, erlaubt uns das, ganz anders an die Sache heranzugehen. Zwei Beispiele aus unserer Welt:
Bei der Linde Group sollte ein effektiver Onboarding-Prozess für neue Redakteure im firmeneigenen CMS und Intranet entstehen: Inhaltliche Rahmenbedingungen mussten verstanden, Redaktionsprozesse beherrscht werden – und die ganz praktische Arbeit im Programm wollte auch gelernt sein. Neben einer bedarfsgerechten Vermittlung dieser Inhalte sollte die Editoren-Community vernetzt sein, einfach auf Schulungsinhalte zugreifen können und regelmäßig die Möglichkeit haben, Bedürfnisse oder Fragen einzubringen – unabhängig vom Arbeitsort.
Für einen Fahrzeughersteller sollte die tägliche Auszubildendenbetreuung digital optimiert werden, damit für persönliche Unterstützung wieder mehr Zeit bleibt. Azubis konstruierten ein eigenes Lkw-Modell. Dafür mussten gewisse Arbeitsschritte zunächst theoretisch erlernt werden (Texte, Videos, Durchführung von Tests). Praktische Arbeitsübungen wurden von Kollegen abgenommen. Zudem mussten die benötigten Arbeitsmaterialien online bestellt werden. Und über sämtliche Fortschritte will der zuständige Meister natürlich jederzeit Bescheid wissen, um je nach Bedarf angemessen eingreifen zu können.
Diese Beispiele zeigen: Lernen und Lehren ist individuell! Die grundverschiedenen Anforderungen schreien weder nach E-Learning, Apps oder Workshops, sondern nach einer ganzheitlichen Betrachtung und einer bedarfsgerechten Lösung. In den zwei bespielhaft genannten Projekten haben Blended Learning-Ansätze, eine digitale Lernplattform, Gamification, Erklärvideos und eine mobile Windows-10-App eine Rolle gespielt, aber eben auch Face-to-Face-Trainings und vor allem: smartes Projektmanagement. Am Ende entstand in beiden Fällen ein Ergebnis, das voll auf die Entwicklung der Mitarbeiter und die Ziele des Unternehmens einzahlt. Und das ist wichtig. Denn …
Regel 3: Lernen ist Business
So ziemlich jede Maßnahme im Unternehmen, sei es die Entwicklung und Implementierung einer neuen Content-Strategie für die Digitalkanäle oder die Neuausrichtung der Kundenansprache im E-Shop, muss sich der einen entscheidenden Frage stellen: Wie zahlt diese Maßnahme auf die Unternehmensziele ein? Und „Einzahlen“ ist hier durchaus wörtlich gemeint: Wie wirkt sich die Maßnahme auf den Umsatz aus? Beim Thema Lernen im Unternehmen ist man oft noch etwas schüchtern in der Formulierung des Business Case: „Das kann man doch gar nicht richtig messen“ – oder doch?
Erfolgsmessung heißt für uns im Projektalltag: Wurden die Ziele erfüllt? Und dafür braucht es Projekthygiene: Die Ziele müssen klar gesteckt werden, die Rahmenbedingungen (Budget, Stakeholder, Timing) definiert sein. Im Einklang mit den Bedürfnissen der Zielgruppe entstehen Lernziele. Erst jetzt spielen Methoden eine Rolle. Und schließlich muss die Maßnahme kommuniziert werden. Entsprechend können wir an allen Stellen messen und bewerten:
- Wie kam die Maßnahme bei den Mitarbeitern an?
- Wurde auch das gelernt, was man vermitteln wollte?
- Findet das Gelernte Anwendung in der täglichen Arbeit?
- Wie wirkt sich diese Verhaltensänderung auf unser Business aus?
- Und: Wie verhalten sich die Kosten der Lernmaßnahme zum Business Impact?
Die Regel lautet: Wenn wir anschließend nicht feststellen können, was sie bringt, hätten wir uns die Fortbildungsmaßnahme von Anfang an sparen können. Ein Learning Analytics-Modell liefert die Antworten und macht aus dem Stimmungskiller „Lernstrategie“ einen hoch attraktiven Business Case: Sie wird messbar, effektiv, relevant – und damit ein unverzichtbarer Teil der Unternehmensstrategie.
Regel 4: Don’t call it learning
Methoden sind immer nur Mittel zum Zweck. Wenn dieser Zweck und sein Business Impact sauber definiert sind, die Bedürfnisse der Lernenden klar und sämtliche Rahmenbedingungen transparent aufgezeichnet sind, dann klappt es auch mit der Learning-Maßnahme – ganz gleich, wie diese am Ende aussieht und ob man den zugrundeliegenden Change-Prozess nun „Lernen“ nennt oder nicht. Viel entscheidender: Sagt euren Mitarbeitern oder Kunden, warum sie etwas lernen und was ihnen (und euch) das bringt. Und sprecht vor Entscheidern lieber über den Business Impact (statt über Lernmethoden). Transparente Kommunikation ist das halbe (Projekt-)Leben.
Datenquelle: https://www.capgemini.com/wp-content/uploads/2017/10/infographic.pdf