Die Weißwurstwoche – ein Design-Sprint-Tagebuch

Design Sprints gehören als beliebte Design-Thinking-Methode zu den Grundwerkzeugen, wenn es um Digitalisierung, digitale Transformation und die Entwicklung von digitalen Produkten und Services geht. Für viele unserer Kunden sind sie inzwischen das Format der Wahl, um konkrete Ideen schnell und mit geringem Risiko voranzutreiben.

Anja Spychalski

Lesedauer: 8 Minuten

So auch für einen großen Energiedienstleister, der das Leben einer digital bis dahin eher vernachlässigten Zielgruppe einfacher machen wollte: Der Arbeitsalltag von Fachhandwerkern sollte erleichtert werden. Sieben Teilnehmer von Kundenseite traten zum ersten Design Sprint ihrer Karriere an. Als Design Sprint Lead begleitete ich das Team aus Ray Sono Experten und Kundenmitarbeitern auf diesem Weg. Heute erzähle ich, wie so etwas abläuft – und warum es jeder mal erlebt haben sollte. 

Kick-off – noch 14 Tage bis zum Design Sprint

Wenige Telefonkonferenzen machen so viel Spaß, wie die zum Kick-off für ein Design-Sprint-Projekt. Wo Projektmitarbeiter sonst mitunter eher mäßig motiviert und im besten Fall schlicht skeptisch sind, ist die Vorfreude auf fünf Tage Sprint und ein „anderes Arbeiten“ trotz Rauschen in der Leitung deutlich wahrnehmbar – schon allein dafür lohnt sich der Aufwand. Und ja, ein Design Sprint bedeutet Aufwand. Aber wie lange hast du bei deiner letzten Produktentwicklung von der Benennung des Kundenbedürfnisses bis zum Prototyp gebraucht? Eben.

Unser Kunde hat seine Hausaufgaben jedenfalls gemacht – über die Zielgruppe „Fachhandwerker“ und ihr Verhalten liegen qualitative und quantitative Daten vor, die Sprint-Teilnehmer sind aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens nominiert, und für die Rekrutierung der Tester laufen bereits die ersten Anfragen im eigenen Kundenkreis. Das gibt glatt ein Fleißbienchen und ist die Garantie dafür, dass die fünf Sprint-Tage maximal produktiv genutzt werden können.

Montag

Exploration – wenn alle endlich wissen, was sie wirklich wissen

Der erste Sprint-Tag hat es in sich. Am Ende wollen wir nicht nur den Fachhandwerker und seine Wünsche und Nöte bis ins Detail kennen, sondern auch alle Namen, Hobbys und Eigenheiten der Sprint-Teilnehmer verinnerlicht haben.

Ein großer Teil der Magie eines Design Sprints entsteht dann, wenn Kolleginnen und Kollegen, die bisher nicht zusammengearbeitet haben, an einen Tisch gebracht werden und ihr Wissen teilen. Unsere entscheidende Fragestellung lautet: „Wer genau ist dieser Fachhandwerker, und welche täglichen Aufgaben kosten ihn am meisten Zeit und Nerven und warum?“ Wir landen dank des Erfahrungsschatzes des Sprint-Teams bei zwei ausformulierten Fachhandwerker-Porträts und vier Hypothesen zu ihren größten Herausforderungen und deren Ursachen. Nicht alle Erkenntnisse sind komplett neu, aber es entsteht zum ersten Mal ein ganzheitliches und gemeinsames Bild einer bisher unterschätzten Zielgruppe – und der dringende Wunsch, dieser zukünftig besser gerecht zu werden.

Dienstag

Ideation & Sketching – wie Produktideen entstehen, obwohl ich nicht zeichnen kann

Auf die analytische Arbeit von Tag eins folgt die Kreativphase. Beziehungsweise erst einmal die übliche Blockade („Ich kann aber nicht gut zeichnen!“). Ist die Komfortzone aber wiedergefunden, nehmen immer mehr Ideen zuerst im Kopf und dann auf Papier konkret Gestalt an. Es wird gebrainstormt, bis die Post-its ausgehen. Der Fachhandwerker und die Erleichterung seines Alltags stehen im Zentrum der letztlich 68 Innovationsideen, die von Schulungen per App auf der Baustelle bis hin zu automatisierten Assistenzsystemen reichen.

Der Schlüssel zu „Kreativität auf Knopfdruck“ liegt in passenden Methoden, inspirierenden Impulsen und der ausdrücklichen Erlaubnis, Grenzen der Fantasie zu überschreiten. Die Hypothesen von Tag eins dienen als Absprungpunkt und roter Faden. Regelmäßige Priorisierungsrunden helfen, die aussichtsreichsten Ideen systematisch weiterzuentwickeln. Jetzt passiert das Zeichnen und Sketchen von Konzepten, User Flows und Interfaces fast automatisch.

Mittwoch

Prototyping Part eins – vom Zwang, sich zu fokussieren

Vor lauter Ideen-Post-its und Skizzen ist kaum noch Wand zu sehen. Höchste Zeit, sich zu fokussieren und digital zu werden. Das Team wählt gemeinsam mit dem Sprint-Sponsor vier Ideen zur Überführung in einen testbaren Prototyp aus. Es gilt, zwischen Machbarkeit und Utopie zu entscheiden – ein Sprint liefert, wie kaum ein anderes Format, die Chance, auch mal unkonventionelle Ideen einem ersten „Markttest“ zu unterziehen, ohne überzogene Entwicklungsaufwände oder Reputationsschäden zu riskieren.

Es schlägt die Stunde unserer UX- und Prototyping-Experten. In kürzester Zeit entstehen die Grundgerüste für ein spezifisches Shop-Mock-up sowie verschiedene Produktpräsentationen. Ziel ist, die Tester mit einer auf die wesentlichen Kernelemente reduzierten Version der Produktidee zu konfrontieren und sie damit in spontane Begeisterungsstürme ob der offensichtlichen Nützlichkeit der Erfindung zu versetzen. Oder eben eine sachlich begründete Ablehnung der Idee oder einzelner Aspekte zu erfahren.

Wäre der Design Sprint ein Weißwurstfrühstück, dann wäre der Mut, mit Ideen zu scheitern (und zu verstehen, warum), der süße Senf. Schmeckt nicht jedem, ist aber quasi Naturgesetz.

Donnerstag

Prototyping Part zwei – der Tag, an dem die Süßigkeiten niemals ausgehen dürfen

So eine Woche kann auf einmal ganz schön kurz sein. Bekanntlich immer dann, wenn es grad anfängt, richtig Spaß zu machen. Es wird an Seitenaufteilungen, Navigationspfaden, Texten und Bildern gefeilt, um den Prototyp möglichst selbsterklärend zu machen. Im Zentrum stehen dabei immer die ursprünglichen Hypothesen bezüglich der Probleme und Lösungen von Tag eins. Denn das Testing soll nicht nur zeigen, ob die Produktidee zündet, sondern auch, warum (oder warum nicht). Wer Ursache-Wirkungs-Ketten hinterfragt, entwickelt seltener am Nutzer vorbei. Klingt einfach, ist aber immer wieder ein grandioses Aha-Erlebnis für alle Beteiligten.

Während also binnen Stunden Bilder von Produkten entstehen, die es so noch nicht gibt, reduziert sich der Design-Sprint-Snackvorrat dramatisch und ebenso schnell. In gemeinsamen Feedback-Schleifen diskutiert das Team immer wieder die Arbeitsstände, trägt Informationen zusammen und trifft die letzten Entscheidungen für oder gegen Detailkomponenten. Kalorien- und ergebnistechnisch ist dies ohne Zweifel der intensivste Tag der Design-Sprint-Woche.

Freitag

Testing – nix für Langschläfer und schwache Nerven

Wer Lösungen für Fachhandwerker testen will, muss früh aufstehen. Sehr früh. Und sich auf spontane Absagen gefasst machen. Das Testing mit realen Vertretern der Kundenzielgruppe ist das Highlight eines jeden Design Sprints. Im Falle von Fachhandwerkern ist es außerdem eine recht komplizierte Angelegenheit, denn die Terminpläne sind voll, und Kundennotfälle gehen vor. Trotzdem gelingt es uns, echtes Feedback zu unseren vier Produktideen zu sammeln. Gestützt durch einen Interview-Leitfaden erfahren wir nicht nur, dass der Fachhandwerker von heute schon erstaunlich digital unterwegs ist, sondern lernen auch, wie Warenwirtschaft und Baustellenlogistik im Gegensatz zu einigen unserer Annahmen wirklich ablaufen.

Zwischen fünf und sechs User-Tests finden normalerweise im Rahmen eines Design Sprints statt. Es geht dabei um qualitative Insights und Ersteinschätzungen, ein Business Case lässt sich damit natürlich noch nicht rechnen. Dennoch lassen die Feedbacks deutlich erkennen, wo die Potenziale liegen. In unserem Fall qualifizieren sich zwei von vier Ideen für die weitere Ausarbeitung und Verprobung im nächstgrößeren Maßstab. Eine gute Orientierung, wenn es darum geht, Innovationsbudgets zielgerichtet und effektiv zu verteilen. Ganz nebenbei erfahren wir aus erster Hand, wie unsere Zielgruppe tickt, was sie umtreibt und wie sie in die eigene Zukunft blickt. Und stellen fest, dass wir vieles doch noch nicht wussten. Eine ganze Menge Input für einen Freitagabend, 17 Uhr.

Sieben Tage später

Arbeitsgeschwindigkeit, Meeting-Dichte und Papierverbrauch haben sich wieder normalisiert, die Ergebnisse der Woche sind sauber aufbereitet und vom Sponsor abgenommen, und das Team ist um mindestens eine fachliche und persönliche Erfahrung reicher.

Als Dauermodus eignen sich Design Sprints kaum, sie gehören aber ins Standardrepertoire jeder Innovations- und Produktentwicklungsabteilung. An jenen hängt letztlich auch, wie (und wie schnell) auf den Sprint-Ergebnissen aufgesetzt wird und ob die Ideen tatsächlich Wirklichkeit werden. Für die Fachhandwerker wird es jedenfalls weitere Produkttests bis hin zu Simulationen auf Baustellen geben.

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Nancy Forner
Marketing & Communications
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